Nachrichtenbeitrag

„Die Sorge für den Weltfrieden nicht den Politikern überlassen“

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Von NNA Mitarbeiter

Der Konfliktforscher Prof. Friedrich Glasl hat einen Appell an die Zivilgesellschaft gerichtet: Aktivisten hätten mehr Gewicht, als ihnen bewusst ist und könnten eine bedeutenden Beitrag zum Friedensprozess beitragen.

STUTTGART (NNA) – Für ein stärkeres Engagement der Zivilgesellschaft für den Weltfrieden hat sich der Konfliktforscher Prof. Friedrich Glasl ausgesprochen. Krieg und Frieden sind zu wichtige Themen, als dass man sie den Politikern überlassen dürfe, betont Glasl.

„Besser ist es, alles zu tun, um das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“. Politiker folgten in ihrem Handeln oft ihren eigenen beruflichen bzw. Karriereinteressen und stünden oft in der Abhängigkeit zu ihrer Partei, die ihnen den Weg an die Macht ermöglicht hat. „Parteien sind leider – wie die westlichen Systeme generell – oft auch sehr stark von der Wirtschaftslobby gesteuert. Es ist wichtig und auch wirksam, Mittel und Wege zu suchen die eigenen Anliegen zu artikulieren, sich zu organisieren“.

Die Aktivisten haben ein stärkeres Gewicht, als ihnen selbst bewusst sei. NGOs, Graswurzelbewegungen, Nachbarschaftshilfen können einen bedeutenden Beitrag zum Friedensprozess leisten, so das Fazit des Beitrags von Prof. Glasl in der Zeitschrift Sozialimpulse (Rundbrief Soziale Dreigliederung).

Aus seiner eigenen Erfahrung wisse er, dass solche Initiativen sehr aufmerksam verfolgt würden von Seiten der Politik, oft auch mit einer gewissen Sorge und Angst. „Ich kann mich an Sitzungen erinnern, die ich mit der einen oder anderen Regierung hatte, während vor dem Gebäude gerade eine Demonstration begonnen hatte. Ich weiß, wie aufgeregt die Menschen im Raum reagierten und wie sie sich die Frage stellten: Wer steckt dahinter? Wie wird das ablaufen? Hoffentlich müssen wir nicht auf irgendeine Weise eingreifen, die unsere eigene Autorität infrage stellt und untergraben könnte.“

Diese Gruppierungen hätten „weit mehr Gewicht als ihnen bewusst ist.“ Glasl betont, dass er dies heraushebt, weil er mit Sorge beobachte, dass „viele Menschen angesichts des übermächtigen Systems sich entmutigen lassen und resignieren, weil sie der Suggestion erliegen, die oft bewusst von diesem System ausgeht: Du kannst da nichts machen! Du bist ohnmächtig! Das ist eine große Gefahr“.

Die auf diese Weise erzeugten Ohnmachtsgefühle führten entweder zur Resignation, zum Rückzug ins Privatleben, zur Abkehr von politischer Betätigung zivilgesellschaftlicher Art bzw. von verfassungsrechtlich gebotenen Möglichkeiten. Resignation sei das eine, dass Menschen z.B. gar nicht erst zur Wahl gehen. „Das andere ist das Umschlagen in ein Wutbürgertum, das so destruktiv werden kann, dass es zu Gewalthandlungen kommt, weil die Menschen anders ihre Selbstwirksamkeit nicht konstruktiv erleben können. Wenn diese Selbstwirksamkeit konstruktiv nicht möglich ist, dann wird sie eben destruktiv“, erläutert der Konfliktforscher.

Veränderungsprozesse

Die Friedensarbeit kann aus der Sicht Glasls im kleinen wie im großen stattfinden. Aus einer Erfahrung in der internationalen Konfliktlösung benennt Prof. Friedrich Glasl in seinem Artikel sieben verschiedene Arten von Veränderungsprozessen, mit denen die zivilgesellschaftlichen Aktivisten Entwicklung beeinflussen können.

  • Diagnose-Prozesse im Sinn von Bewusstseinsbildung. Hier geht es darum, immer wieder Diagnosen zu stellen d.h. Bewusstseinsbildung zu betreiben und die Hintergründe und Ursachen von Konflikten offen zu legen.
  • Zukunftsgestaltungs-Prozesse im Sinn von Willensbildung. Hier steht das Erarbeiten von Zukunftsvorstellungen im Vordergrund: Welches Zukunftsmodel wollen wir verwirklichen?
  • Psychosoziale Prozesse, die sich auf die Gefühle, Haltungen und Beziehungen richten. Hier gehe es um die Arbeit an Emotionen, die in bestehenden Situationen und im Erarbeiten künftiger Modelle auch ungewollt auftreten können.
  • Lern-Prozesse, die der Entwicklung künftig geforderter Fähigkeiten dienen. Es müsse das Können und Wissen entwickelt werden, das notwendig sei, um die erstrebenswerte Struktur auch wirklich leben zu können.
  • Informations-Prozesse, die einer transparenten Kommunikation dienen. Menschen, die nicht an allem beteiligt seien, müssten immer informiert werden.
  • Umsetzungs-Prozesse, die schrittweise erfolgen sollen und nicht im „Hauruck-Stil“, damit während der Umsetzung gelernt werden könne.
  • Change-Management im Sinn einer wirkungsvollen Planung und Steuerung aller Prozesse und ihrer Ausstattung mit den notwendigen Ressourcen.

Die genannten Basisprozesse miteinander vernetzt stützten einander und bewirken, dass die Menschen lernen, ihre soziale Wirklichkeit kooperativ und partizipativ zu gestalten. So können sie von Objekten von Veränderungsprozessen zu deren Gestaltern werden und sie befähigen, „aus eigener Einsicht, aus eigenem Bewusstsein die Welt so zu erschaffen, dass sie ihren Werten, Vorstellungen und ihren Fähigkeiten entspricht.“

Zivilgesellschaftliche Anknüpfungsmöglichkeiten

Diese „Multi-Track-Diplomacy“ hat sich aus der Sicht Glasls in der Vergangenheit an vielen Beispielen bewährt. Gleichzeitig werde an mehreren Zugängen, über mehrere Kanäle an den verschiedenen Elementen eines Konflikts gearbeitet, für die Zivilgesellschaft ergeben sich so vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten.

Glasl analysiert die verschiedenen Wege auch unter dem Gesichtspunkt der Dreigliederung, wie sie von Rudolf Steiner 1919 als Konsequenz aus dem Ersten Weltkrieg entwickelt worden ist. Das bedeute, dass Veränderungen in allen drei Subsystemen einer Gesellschaft erarbeitet werden, im Geistesleben, das mit Kultur, Wissenschaft, Religion und Bildung zu tun habe, im Rechtsleben, das Verfassung, Gesetze und politische Gegebenheiten betreffe sowie im Wirtschaftsleben, wo Produktion, Vertrieb, Handel und Konsum Gegenstand der Bearbeitung seien.

Insgesamt sieht der Rundbrief Soziale Dreigliederung vielfältige Beispiele für mangelnde Kompetenzen des konstruktiven Dialogs und der Problemlösung in der politischen Landschaft der Gegenwart, z.B. bei den Verhandlungen um eine neue Bundesregierung.

„Man ist erschüttert, wenn man betrachtet, welche bedeutenden Ereignisse sich in Deutschland, Europa und der Welt während der „Jamaika-Wochen“ vollzogen haben, auf die man nicht reagieren konnte“, schreibt Prof. Christoph Strawe im Editorial und nennt die Weltklimakonferenz in Bonn, den Parteitag der chinesischen KP, die Konfrontation im Nahen Osten ausgelöst durch US-Präsident Donald Trump sowie die Zunahme der Repression in der Türkei. Außerdem drehe sich die Aufrüstungsspirale immer weiter.

Die Beiträge im Rundbrief zum Schwerpunkt „Wege zum Frieden“ gehen auf eine Veranstaltung im Forum 3 in Stuttgart im Herbst 2017 zurück.

20.000 Menschen haben inzwischen den Abrüstungsaufruf von attac und den Gewerkschaften unterschrieben (NNA berichtete).

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 180204-03DE Datum: 4. Februar 2018

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