Nachrichtenbeitrag

Menschenrechtsorganisationen prangern Kriminalisierung von Asylsuchenden durch die griechische Justiz an

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Von NNA-Mitarbeiter

Ein Vater steht vor Gericht, der seinen Sohn bei der Überfahrt verloren hat. Ein weiterer Geflüchteter, der das Steuer des Boots übernommen hatte, wird wegen Menschenschmuggel angeklagt. Der Prozess gegen die „Samos2“ sei ein beunruhigender Präzedenzfall in der Kriminalisierung von Migrant:innen.

SAMOS (NNA) – 70 europäische Menschenrechtsorganisationen haben gegen einen Prozess protestiert, mit dem erstmals ein Geflüchteter aus Afghanistan wegen des Todes seines 6jährigen Kindes auf der Überfahrt nach Griechenland vor Gericht steht. Mit N. ist außerdem ein weiterer Geflüchteter H. wegen Menschenschmuggel angeklagt, der das Steuer des Boots übernommen hatte.

Der Prozess gegen die „Samos2“ stelle „einen beunruhigenden Präzedenzfall in der Kriminalisierung von Migrant:innen dar, weil er für alle Familien gelten könnte, die in Griechenland ankommen", so Dimitris Choulis, der Anwalt der beiden Angeklagten.

Mit N. steht jetzt erstmals ein Vater vor Gericht, der sein Kind bei der Überfahrt verloren hat. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft, weil er durch die Bootsüberfahrt das Leben seines Kindes gefährdet habe. "Rechtliche Schlupflöcher werden genutzt, um diejenigen zu verfolgen, die sich schwer gegen systematische Diskriminierung wehren können. Gleichzeitig werden die Verbrechen der europäischen Küstenwachen, Frontex und weiteren Grenzmilitärs nicht strafrechtlich belangt“, so Jelka Kretzschmar von Mare Liberum.

Die systematische Diskriminierung gehe bis in die Verfahren hinein. Immer wieder werde Angeklagten ein fairer Prozess verweigert; Zeugenaussagen anderer Migrant:innen würden ignoriert oder gar nicht gehört.

So sei H. angeklagt worden, obwohl andere Passagiere, darunter N., erklärten, H. habe das Steuer übernommen, schlichtweg weil jemand es musste, als die Schleuser das Boot verlassen hatten. H. habe seine gelähmte Mutter auf dem Rücken getragen, als das Boot bestiegen worden sei, habe einer der Überlebenden ausgesagt.

Kein Einzelfall

Nach Angaben der Seenotrettungsorganisation Mare Liberum stellt der Prozess in Griechenland keinen Einzelfall dar. Die griechische Polizei sei dazu übergegangen, ein bis zwei Personen pro ankommendem Boot routinemäßig zu verhaften und sie des Menschenschmuggels anzuklagen, weil sie von den Schleusern gezwungen worden sind, das Steuer des Bootes zu übernehmen.

Das griechische Recht sehe besonders hohe Strafen für Menschenschmuggel vor. So lautet H.‘s Anklage auf „unerlaubten Transport von 24 Drittstaatenangehörigen in griechisches Hoheitsgebiet“ mit den erschwerenden Umständen der „Gefährdung des Lebens von 23“ und der „Verursachung des Todes von einem“ – N.‘s Sohn. H. droht eine lebenslange Haftstrafe für den Tod des Kindes und weitere zehn Jahre Haft für jede transportierte Person, insgesamt also 230 Jahre plus lebenslänglich.

Bereits jetzt stellten Asylsuchende, die wegen Menschenschmuggels verurteilt worden sind, nach den Zahlen des griechischen Justizministeriums die zweitgrößte Gruppe von Inhaftierten in griechischen Gefängnissen, schreibt Mare Liberum. Unmittelbar nach ihrer Ankunft festgenommen, hätten die meisten der Asylsuchenden keinen Zugang zu angemessenem Rechtsbeistand oder zu externer Unterstützung.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 2200703-04DE Datum: 3. Juli 2022

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