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„Afghanistan nicht vergessen!“

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By NNA-Mitarbeiter

Flüchtlingshilfe rügt „beispielloses Versagen“ der Politik und fordert Bleiberecht, Familienzusammenführung und Aufnahmeprogramme.

WÜRZBURG/MÜNCHEN/BERLIN (NNA) – #DontForgetAfghanistan ist der Hashtag für eine Kampagne, mit der Organisationen der Flüchtlingshilfe auf die Lage der afghanischen Geflüchteten in Deutschland und der immer noch im Land befindlichen gefährdeten Ortskräfte aufmerksam machen wollen.

Bei zwei Protestkundgebungen in Würzburg – anlässlich der Innenministerkonferenz am 2.Juni – und Anfang Mai in München vor den Parteizentralen der Grünen und der SPD in Bayern kamen nur ein paar Hundert Menschen zusammen, eine Petition auf change.org wurde dagegen von mehr als 130.000 Personen unterzeichnet. Der Umgang mit geflüchteten und gefährdeten Personen aus Afghanistan durch die deutschen Behörden sei „eine Geschichte beispiellosen Versagens“ und „eine moralische Bankrotterklärung“, heißt es darin.

Vor allem die CDU/CSU habe sich durch eine „brutale Abschiebepolitik“ gegenüber afghanischen Geflüchteten hervorgetan: angefangen vom ehemaligen Bundesinnenminister Lothar de Maizière, der mit einem Kooperationsabkommen den Grundstein für Sammelabschiebungen in ein von Bürgerkrieg und Terror gezeichnetes Land gelegt habe, seinem Nachfolger Horst Seehofer, der Freude über abgeschobene Afghanen anlässlich seines Geburtstags kundtat und schließlich der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, der sich – selbst als die Taliban vor Kabul standen – noch um die Abschiebung ausreisepflichtiger Afghanen bemüht habe, listet die Petition auf.

„Dass immer noch viele afghanische Geflüchtete keinen sicheren Aufenthalt haben, ist eine Fortführung dieser unerträglichen Politik“, wird betont. Auch das derzeit SPD-geführte Innenministerium habe nicht für eine Bleiberegelung für in Deutschland lebende Afghanen gesorgt oder das Bundesamt für Migration angewiesen, Abschiebungsverbote festzustellen und Widerrufsverfahren zu unterlassen.

Sofortiger Kurswechsel

Die Unterzeichner der Petition fordern einen „sofortigen Kurswechsel“ der Bundesregierung gegenüber den Geflüchteten aus Afghanistan. Wie im Koalitionsvertrag versprochen müsse der Familiennachzug endlich erleichtert werden. Abläufe müssten vereinfacht und beschleunigt werden, damit geflüchtete Afghanen und Afghaninnen in Deutschland ihre Familien in Sicherheit bringen können. Alle Menschen, die bereits aus Afghanistan nach Deutschland fliehen konnten, sollen umgehend einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten.

„Völlig aus dem Blick geraten“ seien auch die Rechte der gefährdeten Menschen im Land. Das Versagen des SPD-geführten Außenministeriums der letzten Bundesregierung bei der Evakuierung von gefährdeten Personen und Ortskräften bei der Machtübernahme der Taliban im August 2021 habe dazu geführt, dass unzählige Menschen in Lebensgefahr in Afghanistan bleiben oder unter widrigsten Bedingungen in Nachbarländer fliegen mussten.

Weder habe das jetzt von den Grünen verantwortete Außenministerium die Aufnahmeversprechen eingelöst, noch für eine Verstärkung der überforderten Botschaft in Islamabad oder für eine Beschleunigung der Visaverfahren gesorgt.

Gefordert werden Landes- sowie Bundesaufnahmeprogramme, ein beschleunigtes Ortskräfteverfahren, alle gefährdeten Familienmitglieder müssten bei der Aufnahme berücksichtigt werden. Erforderlich ist aus der Sicht der Flüchtlingsorganisationen außerdem eine Aufarbeitung der Vorgänge im vergangenen Sommer: „Das Versagen der deutschen Behörden bei der Evakuierung gefährdeter Personen darf nicht ohne Konsequenzen bleiben“.

Auch die Buchautorin und Moderatorin Natalie Amiri, die zusammen mit Kabul Luftbrücke private Ausreisen gefährdeter Ortskräfte organisiert hat (NNA berichtete) macht auch weiterhin in verschiedenen Medienbeiträgen und Vorträgen auf die unhaltbare Situation gefährdeter Menschen in Afghanistan aufmerksam.

Unerträgliche Lage

Vor allem die Lage für Mädchen und Frauen sei unter der Herrschaft der Taliban unerträglich geworden, Afghanistan gleiche „einem Gefängnis für Frauen“, betont sie in einem Beitrag für die ARD-Sendung Kontraste. Darin wird auch das Schicksal der beiden Aktivistinnen Zahra und Manizha Abbasi geschildert, die das Land nach Drohungen der Taliban verlassen haben und jetzt mit abgelaufenen Visa in Pakistan ausharren müssen. Versuche Amiris, die beiden nach Deutschland zu holen, waren bisher nicht erfolgreich.

Auch die Vereinten Nationen haben in einer Erklärung Ende Mai ihre „tiefe Betroffenheit“ über die zunehmende Erosion der Menschenrechte und fundamentaler Rechte von Frauen und Mädchen unter der Herrschaft der Taliban zum Ausdruck gebracht. Beschränkungen wie das vor kurzem erlassene Verhüllungsgebot für Frauen behinderten die Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben und widersprächen den Erwartungen der internationalen Gemeinschaft an die afghanische Regierung.

Ein neues Gesetz, das im Mai erlassen worden ist, verlangt, dass Frauen in der Öffentlichkeit und auch in Medienbeiträgen ihr Gesicht bedecken müssen und ihre Wohnung nur aus notwendigen Gründen verlassen dürfen. Verstoßen sie gegen diese Regeln, wird ein männlicher Verwandter bestraft.

Unsichere wirtschaftliche und politische Lage

Im letzten Bericht der UN-Mission in Afghanistan UNAMA wird auch die unsichere wirtschaftliche und politische Lage hervorgehoben, die – verbunden mit anhaltenden Terroranschlägen – das Leben der Menschen in Afghanistan bestimme. Nach wie vor sei das Land auf Hilfe angewiesen, um die grundlegenden Bedürfnisse seiner Bevölkerung zu befriedigen. Die Vereinten Nationen bekräftigen ihren Willen zu verstärkter humanitärer Hilfe. Allerdings setzte dies vollen, sicheren und ungehinderten Zugang für die Helfer voraus – einschließlich von Frauen.

Die UN-Hilfsmission UNAMA ist am 17.März 2022 um ein weiteres Jahr verlängert worden. Eine ihrer Aufgaben besteht in regelmäßigen Berichten zur Lage im Land an die Vereinten Nationen.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 220703-02DE Datum: 3. Juli 2022

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Die Lage für Frauen und Mädchen in Afghanistan ist unerträglich sagt Natalie Amiri. Auch UNAMA weist auf die unsichere wirtschaftliche und politische Lage hin. (Foto: UNAMA)