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„Auschwitz hat nicht in Auschwitz begonnen ...“

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By NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

Am Sonntag wurde in Berlin eine Gedenkstunde mit „Worten und Klängen“ des Erinnerns als Auftakt zum 77. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers abgehalten. Auch haben das Internationale Auschwitz-Komitee und UNESCO die Verharmlosung und Relativierung des Holocaust auf Coronaprotesten scharf kritisiert.

BERLIN/BONN/WASHINGTON (NNA) – Eine Gedenkstunde in Berlin mit Texten von Überlebenden des Holocaust, musikalisch begleitet durch das Trio Remember bildete am Sonntag den Auftakt zu den diesjährigen Veranstaltungen anlässlich des 77. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und des Internationalen Holocaust-Gedenktages am 27. Januar. Veranstalter war das Internationale Auschwitz-Komitee.

„Es ist an uns, die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten und die Verantwortung, die uns daraus erwächst“, zitierte Birgit Honé, Bundesbeauftragte des Landes Niedersachsen, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Gedenkstunde, die im Livestream verfolgt werden konnte, fand in der Vertretung des Landes Niedersachsen gegenüber des Holocaust Mahnmals statt. Honé würdigte die Arbeit des Vizepräsidenten des Internationalen Auschwitz-Komitées, Christoph Heubner.

Mit immer neuen Formaten, „Worten und Klängen“ des Erinnerns gebe der Schriftsteller den Überlebenden und Opfern des Holocaust eine Stimme.  Dies sei besonders wichtig, nachdem „uns jetzt drei Generationen von den Greueltaten der Nazis trennen“, betonte Honé. Heubner sammelt seit Jahrzehnten Zeugnisse zum Holocaust und hat sie in den zwei Bänden mit Erzählungen  Durch die Knochen bis ins Herz und Ich sehe Hunde, die an der Leine reißen  herausgegeben.

Ausschnitte aus diesen Erzählungen, vorgetragen von Heide Simon, und musikalisch umrahmt u.a. von Natsuko Inada (Klavier) schilderten die Gefühle der Überlebenden, auch ihre Schuldgefühle gegenüber den ermordeten Verwandten, die Schwierigkeiten des Neuanfangs im fremden Land und Impressionen des schier unvorstellbaren Lebens in Auschwitz. So tröstet Maria ihre Lagergenossin beim Schneiden von Schilf, als sie bis an die Hüften im Wasser steht, z.B. darüber hinweg, dass ihre eintätowierte Zahl auf dem Arm so sichtbar ist. Sie weist darauf hin, dass sie wenigstens eine Zahl habe, während die Menschen ohne Zahl direkt in den Gaskammern ermordet worden seien.

Eine andere Überlebende beschreibt die Erinnerung an die Ankunft im Viehwaggon nach drei Tagen der Dunkelheit und die anschließende Selektion auf der berüchtigten Rampe – während der Musik des Mädchenorchesters im Hintergrund zu hören gewesen sei, überdeckt vom Bellen der Wachhunde. Es sei das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass Musik ihr Angst gemacht habe, betont sie. „Wenn ich mich sehen wollte, sah ich nach innen“ berichtete eine weitere Zeitzeugin in den von Heubner gesammelten Erzählungen und hält sich angesichts des Elends in den Baracken immer wieder eine Matrosenbluse vor Augen, die ihr ihre Eltern einmal geschenkt hatten, um Elend, Schmutz und Gestank um sie her zu ertragen.

Das Trio Remember, zu dem auch Jens Dembowski und Detlef Landeck gehören, steuerte Jazzversionen von Liedern bei, die in den Berichten erwähnt werden. Heiko Dettmers wurde online mit einem Song einbezogen, den er anlässlich eines Besuchs in Auschwitz-Birkenau geschrieben hat: „Wenn du eine gesunde Seele hast, spürst auch du hier noch den Tod“ – so hatte er den Anblick der grünen Wiesen auf dem ehemaligen KZ-Gelände empfunden.

Zur diesjährigen Gedenkstunde gehört auch eine Ausstellung mit Fotos des Fotografen Karl Teille zum Holocaust Mahnmal.

„Seid Teil der Gesellschaft und seid wachsam“

Christoph Heubner würdigte den Beitrag aller, die sich gegenwärtig gegen Hass und Hetze, für Freundlichkeit und Toleranz und ein friedliches Zusammenleben der Menschen engagieren. „Auschwitz hat nicht in Auschwitz begonnen, sondern überall dort, wo jüdische Menschen ausgegrenzt und verfolgt worden sind“, betonte er in seinem Schlusswort. „Seid Teil der Gesellschaft und seid wachsam, kümmert euch um eure Demokratie, ihr müsst die Republik behüten“, zitierte Heubner zum Abschluss eine Holocaust-Überlebende.

In der Sendung „Kulturzeit“ auf 3SAT vom 19. Januar hatte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees die Vergleiche zwischen der Judenverfolgung in der NS-Zeit und den gegenwärtigen staatlichen Coronamaßnahmen auf den Demonstrationen der Maßnahmegegner scharf kritisiert. „Den Holocaust zu relativieren heißt, ihn zu bagatellisieren“, betonte er. Wenn Demonstranten sich einen Judenstern anhefteten und sich als Verfolgte darstellten, sei dies eine „völlige Fehldeutung dessen, was damals tatsächlich geschehen ist. Wir reden von einer industriemäßigen Vernichtung von Menschen, man hat sie vergast, verbrannt und die Asche verschüttet.“

Auch die UNESCO beobachtet die Tendenz der Holocaust-Relativierung und den steigenden Antisemitismus der letzten Monate mit großer Sorge.

Sie sieht vor allem die Bildungssysteme gefordert. Es gebe keine bessere langfristige Vorbeugung gegen diese Tendenzen als „kritisches Denken zu lernen und den Schülern und Schülerinnen zu vermitteln, die Würde und Freiheit anderer zu respektieren“, betonte UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay bei einem Besuch des US-Holocaust Memorial Museums in Washingon/DC. Das Museum gilt als eine der weltweit führenden Institutionen zur Holocaust Education und arbeitet mit der UNESCO zusammen. Mit dem Programm IPHGE (International Programme on Holocaust and Genocice Education) sollen lokale Bildungseinrichtungen rund um den Globus befähigt werden, neue Kreise zum Thema Geschichte des Holocaust anzusprechen. Mit Unterstützung der kanadischen Regierung konnten entsprechende Initiativen in 16 Ländern etabliert werden, darunter Argentinien, Indien, Mexiko und Namibia.

Notwendiger denn je seien Erzieher und Erzieherinnen, die erklären können, wie und warum der Holocaust stattgefunden hat und die aufklären können über die anhaltenden Gefahren von Hass und Vorurteilen, betonte Sara Bloomfield, die Leiterin des Holocaust Memorial Museums.

Holocaust und Genocide Education bilden einen Teil des Programms „Global Citicen Education“ (GCED), einen Schwerpunkt der Agenda 2030 der UNESCO. Weltweit sollen so all diejenigen unterstützt werden, die dazu beitragen, dass Schüler und Schülerinnen verantwortungsbewusste, aktive Weltbürger werden, die die Würde aller Menschen respektieren und Antisemitismus, Rassismus und anderen Vorurteilen, die zu Gewalt und Völkermord führen können, eine Absage erteilen, heißt es in einer Erklärung der UNESCO dazu.

END/nna/ung

Literaturhinweis:
Heubner, Ch (2021): Durch die Knochen bis aufs Herz. Steidl Verlag Göttingen.  
ISBN-13: ‏ 978-3958299375

Derselbe (2019): Ich sehe Hunde, die der Leine reißen. Steidl Verlag Göttingen.
ISBN-13: 978-3958297173

 Bericht-Nr.: 220126-04DE Datum: 26. Januar 2022

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In vielen Städten Deutschlands haben sich Initiativen gebildet, die auf die Gefahren für die Demokratie hinweisen, die von den Coronaprotesten ausgehen. So warnt z.B. ein Plakat der Initiative „Rheinhessen gegen rechts“ in Heidesheim /Rhein davor, gemeinsame Sache mit Nazis zu machen. • In seiner letzten Sitzung befasste sich auch der rheinland-pfälzische Landtag mit der zunehmenden Radikalisierung der Coronaproteste. Die Protestierenden aus der Mitte der Gesellschaft ließen sich dabei von radikalen Kräften „vor den Karren spannen, um Stimmung gegen unsere pluralistiche Gesellschaft zu machen“, warnte die SPD-Fraktionsvorsitzende Sabine Bätzing-Lichtenthäler. • Auch Grünen-Politiker Carl Bernhard von Heusinger mahnte: „ Man demonstriert nicht gemeinsam mit Nazis“. FDP-Sprecher Philip Fernis appellierte an die Bürger, sich genau zu überlegen, mit wem man da auf die Straße gehe. Man stehe da neben Demonstranten mit einem Judenstern, auf dem „ungeimpft“ steht: „Da werden NS-Opfer auf eine Art verhöhnt, das ist einfach unerträglich.“ (aus Allgemeine Zeitung 21.1.2022) • Foto: Cornelie Unger-Leistner